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INTERVIEW 2

Dietger Pforte

Zum Menschenbild in den Fotografien von Jan Sobottka


Jan Sobottka ist, wenn er sich in den verschiedensten Kulturszenen Berlins bewegt, ein suchender Flaneur – mit Kamera. Der Großstadt-Flaneur ist ein fotografierender Begleiter und Dokumentarist des kulturellen Lebens: Er sucht Menschen – Bildende Künstlerinnen und Künstler, Autorinnen und Autoren, Galerie-Betreiberinnen und –Betreiber, Leiterinnen und Leiter literarischer Veranstaltungen und vor allem Besucherinnen und Besucher kultureller Ereignisse. Er will mit seinen Fotografien zeigen, wie unterschiedlich und dennoch gleich all diese Menschen sind, die sich an Orten zusammenfinden, an denen die Künste zu sehen und zu hören sind.
Dies gelingt ihm, weil er nicht zu jenen Fotografen gehört, die durch ihr Fotografieren störend auf die Situation in einem kulturellen Raum wirken, sich also als Akteure einer Ausstellungseröffnung, einer Podiumsdiskussion, einer Lesung missverstehen. Er versteht sich vielmehr als Beobachter, als Zuschauer und Zuhörer, der allerdings nicht ausschließlich Rezipient ist, sondern im Augenblick der Rezeption zugleich ein produktiver Fotokünstler. Zu Recht lobt Alexander Kluge seine „Fähigkeit, sich in die jeweilige Gesprächssituation durch seine intensiven und nie aufdringlichen

 

Aufnahmen einzufühlen und dies bildnerisch überzeugend festzuhalten“. Jan Sobottka „beleuchtet nicht nur die ohnehin schon strahlende erste Reihe“ (Ivo Wessel), sondern fotografiert ebenso Menschen, die sich in den Kunstszenen Berlins anonym bewegen und auch anonym bleiben wollen.
Es ist ein sehr weites Spektrum der fotografischen Wahrnehmung von Menschen, das bei Jan Sobottka zu beobachten ist. Es ist deshalb so weit, weil er sich nicht verleiten lässt, mit und in seinen Menschenbildern zu schönen oder zu verzerren. „Ich versuche, nicht zu urteilen“,
erklärt er. – Widerspricht dem nicht, dass Jan Sobottka von seinen „komponierten Momentaufnahmen“ spricht, die er häufig auch noch bearbeitet? Nein, denn der „aus der Malerei kommende“ Fotokünstler denkt „in Flächen und Formen“. Flächen und Formen werden bearbeitet, nicht aber die fotografische Darstellung der Menschen.
Jan Sobottka ist ein zutiefst humanistischer Künstler, dem die Gleichheit aller Menschen keine leere Floskel ist. Er weiß, dass Gleichheit Unter-schiedlichkeit voraussetzt.
Wenn Menschen sich wechselseitig bei aller Unterschiedlichkeit tolerieren, erst dann sind sie sich gleich. Seine Menschenbilder sind Ausdruck eines von Toleranz geprägten Menschenbilds.