Jan Sobottka: KITCHENWORK
Im Reich der Küche
von Boris Eldagsen
|
Das eigentliches Betätigungsfeld
des Fotografen Jan Sobottka sind die Vernissagen der Berliner
Galerien und Museen. Dachte ich immer.
Seit Jahren treffe ich ihn dort, mit einer kleinen Kamera in
der Hand, eingepackt in seine Lederjacke und den im eigenen
verschmitzten Charme. Jan dokumentiert die Großen und
Eitlen des Kunstbetriebes, aber sein geschärftes Auge sieht
auch diejenigen Menschen, die sich durch ihre Ausstrahlung und
nicht durch ihren Namen hervortun. Über die Jahre findet
er unter diesen immer wieder Frauen, die ihn faszinieren und
die er zu einer Fotosession in seine Küche einlädt.
Eine ganz normale, kleine, enge Berliner Küche mit Tisch,
Sitzbank, Bild an der Wand und Gerümpel auf dem Fensterbrett.
Das verblüffende Ergebnis dieser unzähligen Treffen
liegt nun mit KITCHENWORK vor.
|
LaTour
mit Scherenschnitt, 2014 |
Es ist ein faszinierendes Buch über
das Fotografieren und eine Reflexion über die Anziehung
der Geschlechter. Mit jeder Seite entblättert sich die
ganze formale und inhaltlich-emotionale Bandbreite, die zwischen
Fotograf und Modell, Künstler und Muse möglich ist.
Formal bewegt sich Jan kontinuierlich zwischen zwei Extremen:
Einmal benutzt er die Küche so, wie man sie vorfindet,
mit allen visuellen Ecken und Kanten. Ein andermal räumt
er Tisch, Stuhl, Gegenstände heraus, um das Modell bühnenhaft
in den Vordergrund zu stellen. Auch bei den Posen und beim Licht
bewegt er sich zwischen den Gegensätzen von natürlich
und künstlich, dokumentarisch und inszeniert.
Inhaltlich ist KITCHENWORK so faszinierend, weil Porträt
und Selbstporträt radikal eins werden. Schwer zu sagen,
wer agiert und reagiert, Impulse setzt oder aufnimmt. Die Pose,
die Kleidung, die Requisiten, die Rolle: sie kommen von beiden
Akteuren. Es ist ein Tanz der Geschlechter, zeitlos und sich
dennoch seiner individuellen Vergänglichkeit bewusst.
Verstärkt wird dies durch
die den Fotos zur Seite gesetzten Texte. In ihnen beschreibt
Jan wie und wo er das Modell kennengelernt hat, welche Gefühle
und Gedanken das Fotografieren dieser Frau in ihm ausgelöst
haben. Hier begegnen wir einer ganzen Bandbreite von Emotionen:
Vom distanzierten Interesse, zum Flirt mit der Kamera bis zum
offen eingestandenen Begehren und Liebe. Jan lässt uns
an diesem inneren Hin und Her ohne Filter teilhaben. Und daran
liegt die besondere Stärke der Arbeit. Wir erleben den
Künstler, wie er versucht, den Kern der ihn faszinierenden
Frau auf den Punkt zu bringen. Wie er manchmal scheitert, manchmal
gewinnt und dabei Einblicke in den fotografisch-künstlerischen
Prozess und in sich selbst gibt. In seiner Faszination für
das Ewig-Weibliche zeigt er sich als Romantiker, in der Auflistung
der „Wörter die unbenutzt blieben“ als Kavalier
und in der Gesamtkonzeption von KITCHENWORK als kluger Künstler,
der ganz bei sich ist und gleichzeitig über sich schwebt.
Ein Nahtoderlebnis erotischer Art. |
KITCHENWORK
64 Fotos von Jan Sobottka
Verlag: Seltmann + Söhne: 2015
Texte: Ina Weisse / Jan Sobottka
Fadenheftung / Französische Broschur
ISBN: 9783944721415
24 x 16,5 cm / 120 Seiten
deutsch / englisch |
Boris
Eldagsen (* 1970 in Pirmasens) Deutscher Photomedia-Künstler,
lebt und arbeitet seit 1998 in Berlin. |
|
|
|